Benedikt XVI.

* 16.04.1927 in Marktl
† 31.12.2022 in Vatikan

Angelegt am 31.12.2022
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Über den Trauerfall (14)

Hier finden Sie ganz besondere Erinnerungen an Benedikt XVI. , wie z.B. Bilder von schönen Momenten, die Trauerrede oder die Lebensgeschichte.

Benedikt XVI.

02.01.2023 um 12:32 Uhr von Redaktion

Benedikt XVI. (lateinisch Benedictus PP. XVI; bürgerlich Joseph Aloisius Ratzinger; * 16. April 1927 in Marktl, Deutschland; † 31. Dezember 2022 in der Vatikanstadt) war ein deutscher Theologe, Hochschullehrer und römisch-katholischer Geistlicher. Er war von seiner Wahl am 19. April 2005 bis zu seinem Amtsverzicht am 28. Februar 2013 der 265. Bischof von Rom (Papst) und damit Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche sowie das siebte Staatsoberhaupt der Vatikanstadt. Er war nach Gregor V. (996) und Damasus II. (1048) der dritte aus Bayern stammende Papst und nach Coelestin V. (1294) der zweite Papst der Geschichte, der freiwillig von seinem Amt zurücktrat.

 

Joseph Ratzinger gilt als wichtiger Theologe des 20. und 21. Jahrhunderts. 1951 in seiner Heimat Bayern zum Priester geweiht, schlug er eine akademische Laufbahn ein und etablierte sich Ende der 1950er Jahre als hoch angesehener Theologe. Seinen Schriften lagen im Allgemeinen traditionelle katholische Lehren und Werte zu Grunde. Ursprünglich liberaler Theologe, vertrat er nach 1968 konservative Ansichten. Nach einer langen Karriere als Theologieprofessor für katholische Dogmatik und Dogmengeschichte an mehreren deutschen Universitäten wurde er 1977 von Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising und zum Kardinal ernannt; eine zu jener Zeit ungewöhnliche Beförderung für jemanden mit wenig pastoraler Erfahrung. 1982 wurde er Kardinalpräfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, einem der wichtigsten Dikasterien der Römischen Kurie. Er galt als einer der einflussreichsten Kardinäle und in theologischen und kirchenpolitischen Fragen als rechte Hand seines Vorgängers Johannes Paul II. Er wurde ab Mitte der 1980er Jahre auch als „die wichtigste intellektuelle Kraft in der Kirche“ beschrieben. Von 2002 bis zu seiner Wahl zum Papst war er auch Dekan des Kardinalskollegiums.

 

Im Konklave am 18. und 19. April 2005 wurde Joseph Ratzinger zum 265. Papst gewählt und nahm den Namen Benedikt XVI. an. Während seiner Amtszeit setzte er sich für eine Rückbesinnung auf christliche Grundwerte ein, um der zunehmenden Säkularisierung vieler westlicher Länder entgegenzuwirken. Er betrachtete die Leugnung der Objektivität durch den Relativismus und insbesondere die Leugnung moralischer Wahrheiten als das zentrale Problem des 21. Jahrhunderts. Er lehrte die Bedeutung sowohl der katholischen Kirche als auch ein Verständnis von Gottes erlösender Liebe. Benedikt hat auch eine Reihe von Traditionen wiederbelebt, darunter die Erhebung der tridentinischen Messe zu einer prominenteren Position. Er stärkte die Beziehung zwischen der katholischen Kirche und der Kunst, förderte den Gebrauch des Latein und führte traditionelle päpstliche Gewänder wieder ein.

 

Wegen seines Umgangs mit Fällen sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche war Benedikt XVI. umstritten, obwohl er strenge Regeln für den Umgang mit Tätern einführte und allein in der zweiten Hälfte seines Pontifikats über 500 Priester in den Laienstand versetzte.

 

Nachdem Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 vor den Kardinälen überraschend seinen Rücktritt zum 28. Februar 2013 angekündigt und sich dabei auf einen „Mangel an geistiger und körperlicher Kraft“ aufgrund seines fortgeschrittenen Alters berufen hatte, wurde er als Kirchenoberhaupt am 13. März 2013 von Papst Franziskus abgelöst und zog als emeritierter Papst am 2. Mai 2013 in das Vatikankloster Mater Ecclesiae, wo er, von gelegentlichen Auftritten mit seinem Nachfolger abgesehen, zurückgezogen lebte. Neben seiner Muttersprache Deutsch verfügte er über Kenntnisse in Französisch, Italienisch, Englisch und Spanisch. Er konnte sich auch in Portugiesisch, Latein, biblischem Hebräisch und biblischem Griechisch ausdrücken. Benedikt XVI. war Mitglied mehrerer sozialwissenschaftlicher Akademien, wie der französischen Académie des Sciences Morales et Politiques. Er spielte Klavier und hatte eine Vorliebe für klassische Musik von Mozart und Bach.

 

Am 2. September 2020 löste Benedikt Leo XIII. als ältesten Papst der Geschichte ab. Allerdings war Leo XIII. bis zu seinem Tod mit 93 Jahren im Amt, während Benedikt schon vor der Vollendung des 86. Lebensjahres auf dieses verzichtet hatte.

Jugend und Studium

02.01.2023 um 12:31 Uhr von Redaktion

Joseph Ratzinger wurde am Karsamstag des Jahres 1927 als Sohn der Köchin Maria, geb. Peintner (* 8. Januar 1884; † 16. Dezember 1963) und des Gendarmeriemeisters Joseph (* 6. März 1877; † 25. August 1959) geboren und am selben Tag in der Pfarrkirche St. Oswald in Marktl getauft. Er hatte zwei Geschwister, Maria Ratzinger (* 7. Dezember 1921; † 2. November 1991) und den Kirchenmusiker Georg Ratzinger (* 15. Januar 1924; † 1. Juli 2020). Sein Großonkel war der Priester, Landtags- und Reichstagsabgeordnete sowie Schriftsteller Georg Ratzinger (1844–1899).

 

Bedingt durch Versetzungen seines Vaters zog die Familie im Juli 1929 nach Tittmoning an der Salzach und im Dezember 1932 nach Aschau am Inn, wo Joseph seine Grundschulzeit verbrachte. Nach der Pensionierung des Vaters lebten sie ab April 1937 in Hufschlag bei Traunstein. Hier sei, so Ratzinger, die eigentliche Heimat der Familie gewesen, da der Vater während seiner gesamten Dienstzeit als Gendarm beruflich flexibel sein musste. Schon als Kind wurde Joseph Ratzinger Ministrant. Trotz der finanziellen Belastung schickten die Eltern nach seinem Bruder Georg auch Joseph Ratzinger auf das erzbischöfliche Studienseminar St. Michael in Traunstein, in das er am 16. April 1939 eintrat. Er besuchte dort das staatliche Chiemgau-Gymnasium, wo er durch seine besonderen Leistungen in geisteswissenschaftlichen Fächern auffiel.

 

Gemäß der am 25. März 1939 gesetzlich verordneten Jugenddienstpflicht wurde Joseph Ratzinger 1941 mit 14 Jahren in die Hitlerjugend aufgenommen. Im Alter von 16 Jahren wurde er am 2. August 1943 zusammen mit den anderen Seminaristen aus Traunstein als Luftwaffenhelfer nach München geschickt, zunächst zu einer Flakbatterie nach Unterföhring, dann zum Schutz der BMW-Fabrik Allach nach Ludwigsfeld im Norden Münchens. Später wurde seine Batterie nach Gilching verlegt, wo er nur noch Dienst in der Telefonvermittlung leisten musste und 1944 einen direkten Angriff auf die Batterie überlebte. Während dieser Zeit besuchte Ratzinger das Maximiliansgymnasium in München. Auf die Frage eines Vorgesetzten nach seinem Berufsziel gab er schon damals das Priesteramt an. Nach zwei Monaten Reichsarbeitsdienst im österreichischen Burgenland, wo er unter anderem bei der Errichtung des sogenannten Südostwalls für den Bau von Panzersperren eingesetzt war, wurde Ratzinger am 13. Dezember 1944 zur Wehrmacht eingezogen. Seine Grundausbildung leistete er in der Traunsteiner Infanterie-Kaserne ab. Nach dem Tod Hitlers verließ Ratzinger Anfang Mai 1945 eigenmächtig die Kaserne und kehrte nach Hufschlag zurück. Kurzzeitig kam er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, in das Lager PWTE 314 in Neu-Ulm, aus dem er am 19. Juni 1945 entlassen wurde. Danach besuchte er noch einmal das Gymnasium in Traunstein und legte die Reifeprüfung ab.

 

Von 1946 bis 1951 studierte Ratzinger katholische Theologie und Philosophie, zunächst an der Philosophisch-theologischen Hochschule Freising und ab 1. September 1947 an der neu eröffneten Universität in München. Anschließend war er Seminarist am Herzoglichen Georgianum der Ludwig-Maximilians-Universität München. In Freising trat er der katholischen Studentenverbindung K.St.V. Lichtenstein-Hohenheim zu Freising-Weihenstephan im KV bei. Er war Mitstifter der KAV Capitolina Rom, einer 1986 in Rom gegründeten nichtschlagenden, katholischen Studentenverbindung und Mitglied im Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV).

 

Nach eigener Auskunft wurde der nach Abkehr von der Dominanz des Neukantianismus suchende Student insbesondere durch Werke von Gertrud von le Fort, Ernst Wiechert, Fjodor Dostojewski, Elisabeth Langgässer, Theodor Steinbüchel, Martin Heidegger und Karl Jaspers beeinflusst. Als Schlüssellektüre bezeichnete er Steinbüchels Der Umbruch des Denkens. Zum Abschluss seines Studiums sah er sich eher zum tatkräftigen Augustinus, einem der älteren Kirchenväter, als zu Thomas von Aquin hingezogen; bei den Scholastikern interessierte er sich für den heiligen Johannes Bonaventura. Als besonders prägende Professoren in München nannte Ratzinger in erster Linie Gottlieb Söhngen, daneben Richard Egenter, Friedrich Wilhelm Maier, Friedrich Stummer, Joseph Pascher und Franz Xaver Seppelt.

Gemeindearbeit und akademische Laufbahn

02.01.2023 um 12:29 Uhr von Redaktion

Die niederen Weihen (Ostiariat, Lektorat, Exorzistat und Akolythat) empfing Ratzinger am 8. und 9. Mai 1948 in der Kirche Verklärung Christi im Schloss Fürstenried durch Michael Kardinal von Faulhaber. Weihbischof Johannes Neuhäusler weihte ihn am 28. und 29. Oktober 1950 im Freisinger Dom zum Subdiakon und Diakon. Ebendort empfingen Ratzinger und sein Bruder Georg am 29. Juni 1951 durch Kardinal Faulhaber die Priesterweihe. Zusammen feierten die beiden ihre Primiz am 8. Juli 1951 in der Stadtpfarrkirche St. Oswald in Traunstein und ihre Nachprimiz am 30. Juli 1951 in Rimsting, dem Heimatort der Mutter. Ab August 1951 wirkte Joseph Ratzinger als Kaplan in der Pfarrei St. Martin im Münchener Stadtteil Moosach (bis September 1951 als Krankheitsvertretung für Stadtpfarrer Joseph Knogler), dann ein Jahr in der Pfarrei Heilig Blut im Stadtteil Bogenhausen. In der dortigen Gebeleschule unterrichtete er im Schuljahr 1951/1952 katholische Religionslehre. Zum 1. Oktober 1952 wurde er als Dozent an das Freisinger Priesterseminar berufen.

 

Im Juli 1953 wurde Ratzinger zum Doktor der Theologie promoviert. Seine Dissertation Volk und Haus Gottes in Augustin Lehre von der Kirche erhielt das Prädikat summa cum laude. 1957 habilitierte er sich an der Ludwig-Maximilians-Universität München gegen den Widerstand des dort hoch angesehenen Dogmatikers Michael Schmaus bei Gottlieb Söhngen im Fach Fundamentaltheologie mit der Schrift Die Geschichtstheologie des hl. Bonaventura. Ratzinger musste auf Schmaus’ Intervention hin die Schrift überarbeiten. Die von Schmaus beanstandeten und 1957 nicht wieder eingereichten Teile der Habilitationsschrift wurden erst im Jahr 2009 veröffentlicht. Seinen Habilitationsvortrag zum Thema Die Einheit zwischen fundamentaltheologischer und dogmatischer Betrachtungsweise der Kirche hielt er am 21. Februar 1957.

 

1958 trat der damals 31-Jährige eine Professur für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising (die Lehrstühle der Hochschule wurden nach deren Schließung an die Ludwig-Maximilians-Universität München verlegt) an. 1959 wurde er an die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn auf den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie berufen. Seine Antrittsvorlesung hielt er am 24. Juni 1959 über das Thema Der Gott des Glaubens und der Gott der Philosophen. Nach einem kurzen Aufenthalt im Theologenkonvikt Collegium Albertinum wohnte er in seiner Bonner Zeit in Bad Godesberg; seine Schwester Maria führte ihm den Haushalt. Den Bonner Lehrstuhl hatte er inne, bis er 1963 für die nächsten drei Jahre dem Ruf an das Seminar für Dogmatik und Dogmengeschichte der katholisch-theologischen Fakultät an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster folgte. Seine Antrittsvorlesung Offenbarung und Überlieferung hielt er am 27. Juni 1963 in einem Hörsaal im Fürstenberghaus am Domplatz. Dass auch dieser Hörsaal überfüllt war, kann darauf zurückzuführen sein, dass er keine scheinbar unantastbaren Lehrsätze und Schriftbeweise oder Kirchenvätertexte vortrug, sondern ungeheuer erscheinende Fragen stellte wie: „Was ist das eigentlich, »Gott«?“

 

Joseph Ratzinger gehörte dem Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen an. Ab 1964 war er dessen ordentliches Mitglied, ab seiner Ernennung zum Präfekten der Glaubenskongregation 1981 nur noch korrespondierendes. Die Mitgliedschaft endete mit seiner Wahl zum Papst (2005).

 

1966 erhielt Ratzinger auf Empfehlung von Hans Küng einen Lehrstuhl für Katholische Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Seine Antrittsvorlesung hielt er dort am 19. Januar 1967. Aus Vorlesungen aus dieser Zeit für die Hörer aller Fakultäten entstand sein 1968 veröffentlichtes Buch Einführung in das Christentum.

 

Unmittelbar betroffen von den Tübinger Studentenprotesten der ausgehenden 1960er Jahre, nahm er 1969 den Ruf an die Fakultät für Katholische Theologie der Universität Regensburg an. Dort lehrte er Dogmatik und Dogmengeschichte. In Sommerkursen unterrichtete Ratzinger als Dogmatiker gemeinsam mit dem Neutestamentler Heinrich Schlier Studentengruppen in einem Bauernhaus in Bierbronnen, welches Alma von Stockhausen zur Verfügung stellte. (Als von Stockhausen 1988 die staatlich anerkannte Gustav-Siewerth-Akademie gründete, unterstützte Ratzinger, mittlerweile Präfekt der Glaubenskongregation, dieses Projekt.) 1976 wurde er Vizepräsident der Universität und Päpstlicher Ehrenprälat. In Pentling nahe Regensburg bewohnte er ab 1970 ein eigenes Haus, bis er 1977 zum Erzbischof von München ernannt wurde. Er behielt das Haus; es blieb auch nach seiner Wahl zum Papst 2005 seine gemeldete Adresse in Deutschland. Seit seiner Berufung zum Erzbischof war er Honorarprofessor in Regensburg.

 

Ratzinger, der sich eingehend mit der Eschatologie und hier mit Schriften von Kirchenschriftstellern wie Origenes beschäftigte, den er wiederholt in seinen Werken zitierte, wurde in der Öffentlichkeit zunehmend als ein Theologe wahrgenommen, der bei großer persönlicher Bescheidenheit beharrlich das Ziel verfolgte, die christliche Botschaft vor Beliebigkeit und Gefährdung des Glaubens zu bewahren. Dies und seine herausragende theologische Begabung wurden als die Gründe für seine spätere Ernennung zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre genannt.

 

Benedikt XVI. beherrschte mehrere Sprachen (Deutsch, Italienisch, Französisch, Latein, Englisch und Spanisch) und las außerdem Altgriechisch und Hebräisch.

 

Joseph Ratzinger hat keine theologische Schule begründet. Nach dem Ende seiner Hochschulkarriere, auch noch als Papst Benedikt XVI., traf er sich regelmäßig mit seinen Schülern, die sich als Schülerkreis Joseph Ratzinger zusammengeschlossen hatten.

Zweites Vatikanisches Konzil

02.01.2023 um 12:27 Uhr von Redaktion

Eine von Ratzinger verfasste Rede, die der Kölner Erzbischof Kardinal Frings in der Vorbereitungsphase zum Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) 1961 in Genua hielt, richtete sich gegen die neoscholastische Erstarrung Roms und gegen Missstände im Heiligen Offizium. Johannes XXIII. lobte Frings – wider Erwarten und unter vier Augen – für diese Rede sehr. Dies ermutigte Frings, der Mitglied des zehnköpfigen Konzilspräsidiums war, Ratzinger während des Vatikanums als seinen Berater und Redenschreiber hinzuzuziehen. Ein Referat Ratzingers, gehalten am Abend vor Konzilsbeginn zum von der vorbereitenden Konzilskommission vorgelegten Schema De fontibus revelationis, trug dazu bei, dass dieses Schema verworfen und schließlich die Konstitution Dei verbum erarbeitet wurde. In der Kommission zur Erarbeitung der Konstitution wirkte Ratzinger mit. 1963 wurde er von Papst Paul VI. zum Konzilstheologen (Peritus) ernannt. Insbesondere zur Besetzung von Kommissionen oder zum Kurientext über die Offenbarung vertrat er eine reformfreudige Auffassung.

 

Zusammen mit Walter Kasper, Karl Lehmann, Karl Rahner und anderen plädierte er im Februar 1970 mit dem Memorandum zur Zölibatsdikussion für eine eindringliche Überprüfung und differenziertere Betrachtung des Zölibatsgesetzes der lateinischen Kirche.

Erzbischof von München und Freising

02.01.2023 um 12:25 Uhr von Redaktion

 

 Überblick

 

Am 25. März 1977 ernannte Papst Paul VI. Joseph Ratzinger zum Erzbischof von München und Freising. Die Bischofsweihe empfing er am 28. Mai 1977 durch den Bischof von Würzburg, Josef Stangl, im Münchner Dom zu Unserer Lieben Frau; Mitkonsekratoren waren der Bischof von Regensburg, Rudolf Graber, sowie der Weihbischof in München und Freising, Ernst Tewes. Ratzingers Wahlspruch als Bischof Cooperatores veritatis („(Die) Mitarbeiter der Wahrheit“) stammte aus dem 3. Brief des Johannes (3 Joh 8 EU). Bereits einen Monat später wurde er am 27. Juni 1977 als Kardinalpriester mit der Titelkirche Santa Maria Consolatrice al Tiburtino in das Kardinalskollegium aufgenommen. Als neuernannter Kardinal empfing er den polnischen Episkopat in München, darunter auch Karol Wojtyla, den späteren Papst Johannes Paul II., und nahm an beiden Konklaven des Jahres 1978 teil.

Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs

Die Zeit als Erzbischof nimmt in den meisten biografischen Blicken auf Joseph Ratzinger wegen ihrer Kürze nur einen geringen Platz ein. In den Blick der Öffentlichkeit geriet sie im März 2010, als bekannt wurde, dass 1980 ein Priester, Peter Hullermann, von Essen nach München versetzt worden war, der des sexuellen Missbrauchs verdächtigt wurde. Der Priester wurde auf Bitten des Bistums Essen im Januar 1980 als Kaplan in der Erzdiözese München und Freising aufgenommen. Er sollte in München eine Therapie machen. Das Erzbistum München und Freising stellte hierzu in einer Erklärung des Vatikans vom 12. März 2010 fest: „Aufgrund der Aktenlage muss die Arbeitsgruppe des Ordinariates davon ausgehen, dass damals bekannt war, dass er diese Therapie vermutlich wegen sexueller Beziehungen zu Jungen machen sollte. 1980 wurde beschlossen, ihm Unterkunft in einem Pfarrhaus zu gewähren, damit er die Therapie wahrnehmen könne. Diesen Beschluss hat der damalige Erzbischof [Joseph Ratzinger] mit gefasst.“

 

Nach Untersuchungen der Erzdiözese München und Freising wurde festgestellt, dass der damalige Generalvikar, als Personalverantwortlicher der Erzdiözese, den Priester abweichend von diesem Beschluss jedoch „uneingeschränkt zur Seelsorgemithilfe in einer Münchner Pfarrei angewiesen“ hatte. In der Erklärung der Erzdiözese heißt es weiter: „Der wiederholte Einsatz [des Priesters] in der Pfarrseelsorge war ein schwerer Fehler. [Der damalige Generalvikar Gruber] übernimmt für die falschen Entscheidungen die volle Verantwortung“. Der Psychiater des Priesters hatte die Erzdiözese davor gewarnt, den Geistlichen in der Kinder- und Jugendarbeit einzusetzen, dies schriftlich jedoch erst 1985.

 

Münchner Anwaltsgutachten zu mutmaßlichem Fehlverhalten und Mitverantwortung Ratzingers

→ Hauptartikel: Münchner Missbrauchsgutachten

Im Jahr 2019 beauftragte das Erzbistum München-Freising eine Münchner Anwaltskanzlei (Westpfahl Spilker Wastl), potenzielle Fälle aus der Zeit zwischen 1945 und 2019 zu recherchieren. Im Zuge ihrer Recherche gab die Kanzlei dem emeritierten Papst die Gelegenheit, fünf Verdachtsfälle zu kommentieren, die seine Amtszeit betrafen. Der emeritierte Papst übergab der Kanzlei eine 82-seitige Stellungnahme, die die Anwälte berücksichtigten, als sie am 20. Januar 2022 ihr Gutachten veröffentlichten. In vier Verdachtsfällen argumentierten die Gutachter auf Fehlverhalten des damaligen Erzbischof Ratzingers, unter anderem im Fall des Essener Priesters Hullermann. Die Anwälte behaupteten, dass die von dem emeritierten Papst 2021 getätigte Aussage, ihm sei mangels Sachkenntnis kein Fehlverhalten vorzuwerfen, mit den vorgefundenen Sitzungsprotokollen aus damaliger Zeit nicht in Einklang zu bringen sei.

 

Der emeritierte Papst hatte zudem zunächst in seiner Stellungnahme gegenüber der Kanzlei angegeben, an einer Sitzung im Januar 1980, in der die Aufnahme des als Missbrauchstäter auffällig gewordenen Priesters Peter Hullermann aus dem Bistum Essen in das Erzbistum München und Freising Gegenstand war, nicht teilgenommen zu haben. Die Gutachter der Münchener Anwaltskanzlei waren von der Teilnahme Ratzingers an dieser Sitzung überzeugt und beriefen sich dafür auf das entsprechende Protokoll dieser Sitzung, in dem auch Äußerungen Ratzingers festgehalten waren. Außerdem hatte er geäußert, er habe den Priester „nicht gekannt und auch keine Erinnerung an den Fall“.

 

Nachdem Peter Hullermann auch im Bistum München-Freising weiter Kinder missbraucht hatte, übernahm zunächst Generalvikar Gruber die Verantwortung dafür. Gegenüber den Erstellern des Gutachtens erklärte er jedoch später, er sei zu dieser Übernahme der Verantwortung gedrängt worden. Ein mutmaßliches Opfer, ein 38-jähriger (Stand 2022), inzwischen namentlich bekannter Mann aus Oberbayern, reichte 2022 am Landgericht Traunstein eine Klage gegen den mutmaßlichen Täter sowie Ratzinger, das Erzbistum München und Freising und den ehemaligen Erzbischof, Kardinal Friedrich Wetter, ein. Da die Taten strafrechtlich weitgehend verjährt sind, wurde eine sogenannte Feststellungsklage eingereicht, mit der möglicherweise die Schuld der Kirche festgestellt wird. Das Gericht bestätigte den Eingang der Klageschrift und räumte einen Zeitraum bis Januar 2023 für Klageerwiderungen ein.

 

Reaktionen

Zur Frage der Glaubwürdigkeit der Aussage Ratzingers, er habe nicht an der betreffenden Sitzung teilgenommen, erklärte der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller: „Ja, er [Ratzinger] hat eindeutig gelogen, weil das [Sitzungs-]Protokoll Dinge referiert, die nur er wissen kann […].“

 

Der emeritierte Kurienkardinal und „engste Vertraute“ Ratzingers Gerhard Ludwig Müller erklärte, er habe das Gutachten zwar nicht gelesen, aber für ihn sei klar, dass der damalige „Erzbischof Ratzinger nicht wissentlich etwas falsch gemacht“ habe; seinerzeit habe niemand gewusst, welche Reaktion auf Missbrauchsvorwürfe angemessen gewesen wäre. Die Kritik an Ratzinger komme daher, dass man in Deutschland und anderen Staaten „daran interessiert [sei], Joseph Ratzinger zu schaden“, weil dieser eine orthodoxe Position vertrete, viele in Deutschland kirchenpolitisch aber eine progressive Linie wollten. Wenn Fehler im Umgang mit den Missbrauchsfällen gemacht wurden, habe Ratzinger von ihnen nichts gewusst; das sei offensichtlich.

 

Laut dem Ratzinger-Biographen Andreas Englisch sei das Ansehen Benedikts durch dieses Gutachten dauerhaft beschädigt und seine Chance auf eine Kanonisation, wie sie sein Amtsvorgänger erhalten habe, zunichtegemacht. Die feministische Reforminitiative Maria 2.0 forderte von Ratzinger deutliche Konsequenzen zum Missbrauchsgutachten: „Wir erwarten, dass Joseph Ratzinger in Anbetracht dessen auf die Verwendung seines päpstlichen Namens sowie seiner damit verbundenen Titel und Insignien verzichtet.“ Die Theologin Doris Reisinger konstatierte ein Ende des „Mythos vom Chefaufklärer“ Ratzinger: „Der Hammer dieses Gutachtens ist: Wir wissen jetzt, dass Ratzinger bereit ist, öffentlich zu lügen, um sich seiner Verantwortung zu entledigen.“ […]. „Wie dreist oder wie verzweifelt muss man sein, um so etwas zu tun?“ Sie forderte juristische und politische Konsequenzen: „Werden Politik und Justiz die Samthandschuhe fallen lassen, mit denen sie die Kirche allzu lange angefasst haben?“

 

Einräumen von Falschaussage durch Benedikt XVI.

Am 24. Januar 2022 korrigierte Benedikt XVI. in einer Stellungnahme gegenüber KNA seine Angabe vom Dezember 2021 dahingehend, dass er doch an der Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 teilgenommen habe; die anderslautende falsche Aussage im Dezember 2021 erklärte er als „Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme“. Er betonte, in der Sitzung sei laut Aktenlage nicht über einen künftigen „seelsorgerlichen Einsatz“ des Priesters im Erzbistum entschieden worden, sondern über dessen Unterkunft in München während seiner Therapie.

 

Nachdem Benedikt diese Aussage korrigiert hatte, warf der Kirchenrechtler Thomas Schüller Benedikt daraufhin vor, „erneut eine Unwahrheit“ zu sagen. Schüller bezog sich laut Spiegel auf eine „erneute“ Aussage Benedikts, er habe die Vorgeschichte des Priesters nicht gekannt, verstricke sich immer mehr in seine Lügengebilde und beschädige „dauerhaft das Papstamt und damit die katholische Kirche“.

 

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, forderte von dem emeritierten Papst Benedikt XVI. eine Entschuldigung für sein Fehlverhalten. Benedikt XVI. müsse sich äußern und sich über seine Berater hinwegsetzen und im Grunde den schlichten, einfachen Satz sagen: „Ich habe Schuld auf mich geladen, ich habe Fehler gemacht, ich bitte die Betroffenen um Verzeihung.“ Anders gehe es nicht, so Bätzing.

 

Brief Benedikts

In einem Brief äußerte sich Benedikt am 6. Februar 2022. Darin dankte er als erstes einer Gruppe von Freunden, die für ihn nahezu 8000 Seiten digitale Aktendokumentation und das fast 2000-seitige Gutachten lasen und analysierten und für ihn seine 82-seitige Stellungnahme für die Kanzlei verfassten. In diesem Zusammenhang bedauerte er das dabei geschehene Versehen bezüglich der Ordinariats-Sitzung vom 15. Januar 1980. Er wies an zweiter Stelle den Vorwurf der Lüge zurück; dass ein Fehler ausgenutzt wurde, um an seiner Wahrhaftigkeit zu zweifeln, habe ihn tief getroffen, und er dankte für die vielfältigen Stimmen des Vertrauens und der Ermutigung. Drittens folgte ein allgemein gehaltenes „Wort des Bekenntnisses“, und dann brachte er „seine tiefe Scham, seinen großen Schmerz und seine aufrichtige Bitte um Entschuldigung“ gegenüber allen Opfern sexuellen Missbrauchs zum Ausdruck: „Jeder einzelne Fall eines sexuellen Übergriffs ist furchtbar und nicht wieder gut zu machen.“

 

Kommentatoren überregionaler Medien, wie Georg Löwisch (Zeit Online), Daniel Deckers (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und Jürgen Erbacher (ZDF heute) stellten fest, Benedikt vermeide es, persönlich Verantwortung in konkreten Fällen zu übernehmen. Sein Beraterteam argumentiere, wer nichts wusste, trage keine Verantwortung. Hingegen nannte der Theologische Leiter des Geburtshauses in Marktl, Franz Haringer, Benedikts Schreiben „menschlich und geistlich tief bewegend“. Am 9. Februar äußerte sich der Privatsekretär Georg Gänswein zur Kritik am Papst. Er sehe eine Verschwörung durch eine nicht näher genannte Strömung, die die aktuellen Vorwürfe dazu nutzen könnte, um das Werk Benedikts und dessen Andenken zu zerstören. Gänswein sagte: „Es bleibt der Fakt, dass ein Fehler und eine Lüge zwei unterschiedliche Dinge sind. […] Leider lassen sich viele von diesem feigen Angriff täuschen, es gibt hier viel Dreck. Das ist eine traurige Sache.“ Der Jesuit Hans Zollner, Experte für Prävention sexualisierter Gewalt und Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen, kritisierte, dass Benedikt sich als erstes bei seinen Freunden bedankte und erst nachrangig zu den Betroffenen käme; er würde in einem großen theologischen Rahmen über Schuld und Vergebung argumentieren, ohne auf Einzelheiten einzugehen.

 

Faktencheck durch Benedikts Berater

Dem Brief des emeritierten Papstes war ein „Faktencheck“ beigegeben, mit dem die vier Mitarbeiter Benedikts, die auch den 82-seitigen Schriftsatz für die Rechtsanwaltskanzlei WSW erstellt hatten, auf die Vorwürfe eingehen, die im unabhängigen Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising erhoben wurden. Es waren die Kirchenrechtler Stefan Mückl, Helmuth Pree und Stefan Korta sowie Rechtsanwalt Carsten Brennecke (Äußerungsrecht). Sie wiesen in diesem Anhang mehrere gegen Benedikt XVI. erhobene Vorwürfe zurück. Die Münchener Kanzlei, die das Missbrauchsgutachten erstellt hatte, stellte daraufhin klar, dass keine Verurteilung von Papst Benedikt erfolgt sei: „Eine Verurteilung unsererseits, wie von Rechtsanwalt Brennecke insinuiert, erfolgte nicht“.

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